Subtile Rangkämpfe in der Ehe – und wie sie öffentlich und privat ausgetragen werden.

Das Symptom
Man nimmt an: Die meisten Eheleute geben sich in der Öffentlichkeit mehr Mühe, den anderen freundlich zu behandeln, als wenn sie unter sich sind. „Was sollen sonst auch die Leute denken?“.
Bei meiner Ehefrau und mir war es etwas anders. Wenn wir allein waren, zeigte sie sich zärtlich und freundlich zu mir, gebrauchte eine wertschätzende Sprache und Streitgespräche liefen in den üblichen Bahnen ab.
Irgendwann fiel mir auf, dass es sich jedoch oft ganz anders verhielt, wenn wir in Gruppen von Freun-den oder der Kirchgemeinde unterwegs waren. Immer wieder erlebte ich Situationen, die mich irritierten. Es waren interessanterweise keine Situationen in denen wir uns genervt oder gestritten hätten. Es lag auch nicht an der Lautstärke. Es lag in diesen Situationen mehr etwas vor, was ich als ein Klima der Abwertung“ erlebte. Das konnte sich verschieden äußern. Manches Mal lag es an den Bezeich-nungen, die meine Frau mir vor den anderen gab („Schluri!“, „Du Dödel, was hast du gemacht?“), manchmal durch eine starke, plötzliche Betonung meiner Schwächen (bei gleichzeitig übertriebener, auf mich ambivalent wirkender Betonung meiner Stärken), manchmal durch einen motzigen Ton und häufig, indem ich in Aspekten und Entscheidungen kontrolliert fand, sodass ich kaum eine Handlungs-freiheit erlebte. Wollte ich beispielsweise mit einem meiner Freunde ausmachen, wann wir – er und ich - uns wieder treffen könnten, war fast vorprogrammiert, dass sich meine Frau in diese Absprache hinein einschaltete, um den Termin zu blockieren, zu verschieben oder die Terminabsprache auf später zu vertagen. Das ließ mich manchmal in dem Gefühl zurück, nicht wirklich mündig zu sein.
Es dauerte eine Zeitlang, bis ich dieses „Klima der Abwertung“ benennen konnte. Ich hatte auch nicht gleich einen Zusammenhang zwischen diesen verschiedenen Verhaltensweisen erkennen können und auch kein Muster dahinter. Ich merkte aber, wie ein Befremden über dieses Phänomen in mir immer größer wurde. Doch es irritierte mich bspw. zusehends, von einer Party nach Hause zu fahren, dort gefühlt wie ein Depp behandelt zu werden und auf dem Rückweg wandelte sich meine Frau in einen freundliche, liebevolle Ehefrau, voller Anteilnahme und Wertschätzung. Manches dieses „Deppengefühls“ werde ich auf eigenen Stolz zurückführen können. Man könnte gewiss auch mit innerer Gelassenheit reagieren, wenn bspw. jede der eigenen Handlungen beim Zusammenlegen eines Kin-derwagens von der Ehefrau belustigt kommentiert wird. Doch an diesen Umgangsformen vermisste ich immer wieder die grundsätzliche Achtung, die Ehepartner sich entgegenbringen sollten.
Es gehört zu meinen Schwächen, Konflikten aus dem Weg zu gehen und direkte, offene Auseinander-setzungen zu vermeiden. Daher vermochte ich zunächst nicht, diese Situationen direkt aufzuarbeiten und in den Situationen direkt zu reagieren. Stattdessen neigte ich zu dysfunktionalen Gerechtigkeitsal-lüren, die aber nichts besser, sondern vieles schlechter machen. Bspw. neigte ich dazu, insgeheim daheim Rache zu nehmen. Dabei war ich trickreich: Ich arbeitete mehr als notwendig, auch wenn ich wusste, dass meine Frau gern mehr Zeit mit mir verbracht hätte. Ich vergrößerte die Distanz und wur-de wortkarg und entzog mich meiner Frau emotional. Auch tendierte ich dazu, Entscheidungen heim-lich zu treffen, bspw. die Termine bereits heimlich zu vereinbaren, um mich der Kontrolle durch meine Frau zu entledigen und sie gleichzeitig zu provozieren. All das konnte ich zu dem Zeitpunkt so noch nicht beschreiben. Weder konnte ich die Schlechtigkeiten, die aus meinem Herzen hochgespült wur-den, noch das paradoxe Verhalten meiner Frau deuten. Es waren mehr Indizien, die sich sammelten und den Ton insgesamt rauer werden ließen. So begann ich mir langsam Gedanken zu machen und versucht mich an einer …
Ursachenanalyse
Es war tatsächlich so, dass ich mich hinsetzte und bewusst begann zu grübeln. Was könnte die Ursache sein, weswegen meine Frau im Kontext von Öffentlichkeit sich mir gegenüber so verhält? Sicherlich gab es Faktoren in ihrer Persönlichkeit, aber das konnte insbesondere die Verhaltensänderung nicht erklären. Ich trug die Fakten zusammen, die ich zu diesem Zeitpunkt wahrnehmen konnte.
Wir hatten vor einiger Zeit ein Kind bekommen. Seitdem – und auch in der Zeit der Schwangerschaft – musste sie in ihrem Beruf kürzer treten bzw. ganz pausieren. Ich hingegen hatte gerade eine gute Zeit auf Arbeit, bekam viel Anerkennung, obwohl ich darauf achtgab, keine Überstunden mehr zu machen. Auch gelang es uns in letzter Zeit, eine erfolgreiche Jugendarbeit in unserer Gemeinde aufzubauen, deren Leitung wir als Paar übernommen hatten. Obwohl wir die Leitung gemeinsam innehatten, war ich dort präsenter. Die Jugendarbeit entwickelte sich prächtig, was auch dazu führte, dass ich vernetzter war. Ich war gewissermaßen zurzeit ein „starker Typ“, während meine Frau als neugebackene Mutter eher besonders auf den Bereich des Häuslichen reduziert war.
In mir entstand langsam ein Bild, weswegen es psychologisch sinnvoll sein könnte, wenn meine Frau mich öffentlich abwatscht, obwohl sie mich grundsätzlich liebt und ehrt. Unbewusst könnte es den Zweck erfüllen, einen Beweis für sich und andere anzutreten, dass Sie doch die Starke ist und letztlich nicht in meinem Schatten steht. Je mehr sie sich selbst als weniger wirksam wahrgenommen hatte, umso mehr spürte sie ggf. auch das Bedürfnis, die eigene Rolle zu finden und zu bekräftigen. Diese Form des Rangkampfes wäre also kein Kampf um Macht, sondern letztlich eher ein Symbol für die eigene „Beteiligtheit“ am außerfamiliären Leben. Zugleich entdeckte ich eine weitere Logik in dieser Form der Entwürdigung: Man kann den eigenen Status umso mehr aufwerten, je unverhohlener und frecher die Behandlung des anderen ist, umso vollständiger die Kontrolle angezeigt wird und umso erfolgreicher und angesehener der andere in sonstigen Lebensbereichen ist. Vielleicht könnte man diese unbewusste Logik so vereinfachen: „Nur eine wahrhaft starke Frau kann einen starken Mann öffentlich behandeln wie einen hörigen Deppen.“ Sicherlich ist das kein Satz, den meine Frau so denkt oder unterschreiben würde. Ich vermute, es ist ein unbewusst ablaufender Prozess. In dieser Denkfigur wurde manches für mich plausibel. Beispielsweise konnte ich so die paradoxen Situationen erklä-ren, in denen der Ehemann im ersten Augenblick bewundert und im zweiten abgewertet wurde.
Diese Analyse hat mir erstens geholfen, in meiner Frau auch eine Bedürftige zu sehen, die mit sich und ihrem Umfeld an der Würdigung der eigenen Lebensphase ringt. Zweitens hat sich mir auf die Weise auch die Entwicklung eines destruktiven Musters von „Aufwerten durch Abwerten“ als beziehungs-feindlicher Mechanismus auf ihrer Seite gezeigt. Das half mir, Neues in den Blick zu nehmen. Es war vielleicht ein wenig wie mit einem Sensor: Erst wenn er auf eine bestimmte Frequenz eingestellt ist, misst er auch in dieser Frequenz. Ich hatte nun meine Sensorik neu ausgerichtet, um mit größerer Sensibilität an das Problem und die dahinter stehenden Bedürfnisse meiner Ehefrau heranzugehen. Drittens konnte ich dadurch selbst aus unguten Reaktionsmustern ausbrechen – meiner Kälte und Empfindlichkeit zu Hause sowie meinem Wegducken in der Öffentlichkeit. Ich kehrte beide Muster um. A) Ich involvierte mich zu Hause mehr einzuklinken (um diesen Übergang zu meistern halfen mir 2 Monate Elternzeit) und entschied mich, der Rache durch emotionale Kälte keinen Raum mehr zu ge-ben. B) Ich ließ von mir erlebte Entwürdigungen in der Öffentlichkeit nicht mehr unkommentiert.

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Autor/in: RedaktionKategorien: Beziehung, Ehe, Erziehung, Familie, GemeindeKommentare: 0

Veröffentlicht am

22. November 2019

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